Die als Kindle E-Book veröffentlichten 100 Gedichte sind 2004 im Rahmen einer experimentellen Versuchsanordnung entstanden. Jeden Morgen, unmittelbar nach dem Frühstück und vor der eigentlichen Tagesarbeit, setzte ich mich an den Schreibtisch und widmete eine halbe Stunde dem Verfassen eines Gedichts.
Die selbstauferlegten Regeln besagten, daß dieser Zeitrahmen keinesfalls überschritten werden dürfe und daß nachträglich keinerlei Korrekturen vorgenommen werden sollten. Was Form und Inhalt der Gedichte anging, gab es keine Beschränkungen, nur war von vornherein klar, daß sie keinen Titel erhalten, sondern einfach nur durchnummeriert werden würden.
Tatsächlich hatte ich keine Schwierigkeiten, diese Regeln einzuhalten. Die meisten Gedichte entstanden in deutlich weniger als dreißig Minuten, selbst die langen stießen nie an die äußersten Grenzen dieses Zeitrahmens, und an manchen Tagen reichte die halbe Stunde für zwei Gedichte aus.
Indem ich Gedichte schrieb, ohne mir die Zeit zu lassen, sie verstandesmäßig zu durchdenken, zwang ich meinen Verstand, auf andere Ebenen des Bewußtseins zurückzugriefen als die, derer ich mir normalerweise bewußt bin.
Ein Mensch lernt im Laufe seines Lebens mit allen Schichten seines Bewußtseins, mit dem was er fühlt, mit dem was er glaubt, mit dem was er hofft, mit dem was er begehrt, mit dem was er verabscheut, mit dem was ihn quält, mit dem was ihn ängstigt, mit dem was ihn inspiriert.
Eingesperrt in die Grenzen seines Handwerks benutzt er aber meistens nur das, was seinem Verstand gelehrt wurde, der dünnsten und am wenigsten belastbarsten dieser Schichten. Er wird diese Grenzen nicht überschreiten können ohne Inspiration, d. h. ohne einen tektonischen Bruch der Bewußtseinsschichten, der diese gegeneinander verschiebt und durcheinander mischt.
Meine Gedichte sind durchtränkt mit allem, was ich in meinem Leben mit allen Fasern meines Denkens und Fühlens erlebt, empfunden und gedacht habe, aber Inspiration hat sie auf eine Ebene von Erkenntnis gehoben, die mir vorher verschlossen war, ohgleich ich nachträglich wohl ahne, daß ich durch sie nur erkenne, was ich längst gewußt habe.
Ich möchte berauschten Wörtern begegnen
Fallend wie Blätter im Herbst
Aus dem Rahmen der Verlautbarungen
Den vergilbten Passepartouts der Bedeutung
Ich möchte sie zertreten auf dem Boden der Tatsachen
Daß die braunstichige Vernunft aufplatzt
Und der Wahnsinn aus den Splittern blutet
Tausend Welten in tausend Scherben sich spiegeln
Statt einer Realität, die mir nicht gehört
Ich möchte durch die Wälder des Irrtums streifen
Wohin die Sätze in grauen Anzügen nicht kommen
Gedanken wie Schwämme wuchern
Metaphern zu wirken aufhören
Wie ein Serum, das Viren zu eigen sich machen
Im Fieber möchte ich brechen
Durch die Eisdecke des Spiegels
Der nur meine verrottete Unfehlbarkeit reflektiert
Und dahinter sehen die Welt vor dem Urknall
Bevor die Naturgesetze voreinander flohen
In die stagnierende Beschleunigung des Erfolgs.
Unter dem Friedhof der Wirklichkeit wandeln die Toten
Sich wieder zu Humus, welchen Samen zu befruchten
Der gesät wurde, ohne je zu wachsen
Von dem tanzenden Gott, zu dem niemand mehr betet